Rassismuskritik an Schulen: Warum Lehrer*innen neu denken müssen

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Dass wir ein Problem mit Rassismus in Deutschland haben ist kein Geheimnis. Zahlreiche Versuche gesellschaftlich aufzuklären und zu sensibilisieren, tragen zwar hier und da ihre Früchte, greifen in meinen Augen aber nicht weit genug. Wenn wir aber verstehen, dass Rassismuskritik damit einhergeht zu verstehen, wann und wie täglich rassistische Denkmuster gelebt und reproduziert werden, dann haben wir das Problem mit Sicherheit an der Wurzel gepackt.
Gleichzeitig öffnen wir uns ein Stück in Richtung einer Gesellschaft, die Diversität lebt und versteht.

Einer der Orte, an dem wir institutionell verankerte Denkmuster aufbrechen müssen, sind Schulen. Prof. Dr. Karim Fereidooni ist Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum. Seine Arbeitsschwerpunkte sind:
Rassismuskritik in pädagogischen Institutionen, Schulforschung und politische Bildung in der Migrationsgesellschaft und diversitätssensible Lehrer*innenbildung.
Zudem berät er die Bundesregierung im Kabinettsausschuss der Bundesregierung zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus sowie im Unabhängigen Expert*innenkreis Muslimfeindlichkeit des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat.

Prof. Dr. Karim Fereidooni

Herr Dr. Fereidooni wie sieht „rassismuskritische Unterrichtsplanung“ aus? Können Sie in wenigen Worten sagen, was der Kern ist?

Rassismuskritische Unterrichtsplanung problematisiert und übt Kritik an rassismusrelevanten Denk-, Sprech- und Handlungsweisen des Lehrens und Lernens. 

Welche Fächer sind besonders im Fokus ihrer Beobachtung?

Alle Fächer können einen Beitrag zur Rassismuskritik leisten. In unserem neuen Buch sind 16 Unterrichtsfächer vertreten. 

Was halten Sie von dem Begriff „Brennpunktschule“?

Ich halte nichts davon, bestimmte Schulen, Lehrer*innen, Schüler*innen und deren Eltern zu stigmatisieren. Alle Schulen müssen die Ressourcen erhalten, die sie benötigen, um allen Schüler*innen eine adäquate Beschulung zukommen zu lassen. Die finanziellen Ressourcen der Eltern dürfen nicht den Lebensweg von Schüler*innen bestimmen. Die Politik hat die Aufgabe, faire schulische Bedingungen zu schaffen.  

Was wurde in Ihren Augen versäumt, dass es in bestimmten Bezirken –  z.Bsp. in Berlin und anderen Teilen Deutschlands – Schulen und Klassen mit wenig Diversität gibt? 

Angehende und ausgebildete Lehrer*innen müssen Diversitätssensibilität als Professionskompetenz betrachten und sich mit unterschiedlichen Ungleichheitsstrukturen und Lebensrealitäten ihrer Kolleg*innen, Schüler*innen und deren Eltern auseinandersetzen. Ich habe diesbezüglich einen Definitionsvorschlag gemacht: 

„Diversitätssensibilität bezeichnet die Fähigkeit unterschiedliche, (menschengemachte) Ungleichheitsstrukturen (wie z.B. Rassismus, Sexismus, Heteronormativität etc.), die in unserer Gesellschaft wirkmächtig sind und die die Lebensrealität sowie Partizipationschancen von Menschen negativ beeinflussen, zu identifizieren und sich im pädagogischen Kontext, dafür einzusetzen, dass die Unterschiedlichkeit aller Gesellschaftsmitglieder als eine wertvolle Ressource und ein Potential für die Gesamtgesellschaft und die spezifische pädagogische Institution betrachtet wird“ (Fereidooni 2020, Schwarzkopf Stiftung). 

Diversität an Schulen fördern für ein besseres Lern- und Schulklima. Photo by Gemma Chua-Tran on Unsplash

Gibt es ein schulpädagogisches Konzept, welches in Sachen Diversität und individuelle Lernförderung vielversprechend ist?

Es gibt viele außerschulische Partner*innen, die Schulen dabei helfen, sich diversitätssensibel und rassismuskritisch aufzustellen. Dieser Organisationsentwicklungsprozess sollte von der Schulleitung und dem gesamten Kollegium mitgetragen werden. Mein Rat an Schulen lautet daher: Holen Sie sich fachliche Expertise von außen. 

Vielen Dank Herr Dr. Fereidooni