Wir müssen Schule neu denken. Diesen Satz habe ich in den letzten Monaten sehr oft gelesen. Es ist mittlerweile kein Geheimnis, dass wir mit unserem Schulsystem in Deutschland in Sachen moderne Bildung und Vermittlung von Werten noch nicht das Potenzial der jetzigen Zeit nutzen. Ich rede bewußt nicht davon, dass wir irgendwelchen Ländern im Vergleich hinterher hängen. Denn darum sollte es in Sachen Bildung nicht gehen. Weder bei Schulen, noch bei Kinder und Jugendlichen sollten wir einen Vergleich heranziehen, der nicht aus dem eigenen soziokulturellen Raum gewachsen ist.
Wenn Unternehmen sich international Vergleichen, dann, weil es hier einen direkten wirtschaftlichen Zusammenhang gibt. Natürlich sind die Schüler*innen menschliches Kapital, welches in der Zukunft auf den Markt kommen wird. Dennoch sind sie erstmal im Jetzt eins: Menschen mit Bedürfnissen und dem Recht auf Bildung.
Die Sache mit der Digitalisierung
In der derzeitigen Krise wird der Ruf nach Geräten und WLAN besonders laut. Zurecht. Wie kann es sein, dass Schulen im Jahre 2020 noch nicht standardmäßig ausgestattet worden sind? Wenn ich mit Lehrkräften darüber spreche, dann höre ich, dass es hier mehrere Gründe gibt:
- Der hohe bürokratische Aufwand, um für eine Infrastruktur zu sorgen.
- Mangelnde Bereitschaft im Kollegium hier mitzugestalten.
- Kulturpessimistischer Geist besonders bei älteren Lehrkräften.
- Zum Teil müssen Bauarbeiten stattfinden, um entsprechende Glasfaserkabeln zu verlegen.
Wo wir hin müssen
Wir wissen, dass wir in der modernen Schulbildung angekommen sind, wenn das Schulsystem soweit transformiert worden ist, dass das gemischte Lernen das Normalste auf der Welt geworden ist. Dann haben wir natürlich andere Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. Zumindest haben wir es geschafft einen Kollos zu bewegen, der seit hundert Jahren im Tiefschlaf liegt.
Erste Schritte
Schule neu denken. Darauf muss ich zurück kommen. Wie wäre es, wenn die Menschen, die Schule gestallten, anfangen aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen zu denken? Ja genau, klingt sehr simpel und man könnte meinen, dass dies doch bereits geschehe. Dem ist aber nicht so. Auch wenn engagierte Lehrpersonen ihr bestes geben, das System und die Strukturen geben nicht den Standart der modernen Zeit wieder und gehen nicht auf die Bedürfnisse von Kinder und Jugendlichen ein.
Hierzu kann man selbst ein kleines Gedankenspiel machen. Stell dir vor, du bist 12 Jahre alt, besuchst die sechste oder siebte Klasse. Du stehst vor Beginn des Tages vor dem Schultor im Dezember. Ist es hell oder dunkel? Wie sieht der Weg vom Tor zu deiner Klasse aus? Was begegnet dir? Oder: Du möchtest deine Aufgaben in Mathe zuhause erledigen, hast aber Schwierigkeiten, diese zu verstehen. Welche Möglichkeiten hast du, um dir zu helfen? Gibt es eine Struktur, wie du auf weiterführende Inhalte zurückgreifen kannst?
Dieses Gedankenspiel kannst du komplett bis zum Schulschluss durchziehen. Vielleicht kennst du eine konkrete Schule oder bist irgendwie involviert, dann kannst du diesen Ort dir vor Augen führen.
In meinen Workshops mit Lehrkräften spiele ich dieses Gedankenspiel ebenso und ein Erlebnis ist oft wiederkehrend und von zentraler Bedeutung: das Treffen mit den Mitschüler*innen/Freunden
Soziale Netzwerke und die Verantwortung
Die Schule ist in erster Linie für die Kinder und Jugendlichen ein sozialer Ort, in dem man sich austauscht und interagiert. Dieser Ort ist bereits mit der digitalen Welt vermischt, was die Schule als statische und inflexible Institution herausfordert.
Dabei sind Mobbing, Kettenbriefe, Desinformationen nichts Neues. Was zur Zeiten von linearem Fernsehen zuhause und in Ruhe aufgefangen werden konnte, findet mit dem Smartphone und sozialen Netzwerken eine schnelle und unberechenbare Dynamik.
Die Eltern seien für die Erziehung ihrer Kinder zuständig, so viele Pädagog*innen. Die Schule müsse das Verhalten der Kinder ebenso auffangen, so die Eltern. So wird der Ball in den Elternabenden hin und her gespielt.
Welche Änderung braucht es jetzt?
Wenn wir beginnen die Schule als einen Ort von echten sozialen Begegnungen wahrzunehmen, dann wird uns bewußt, wie sehr dieser Ort bereits von Medien durchwachsen ist. Bildung bedeutet Vermittlung von kulturellem Wissen über und durch Medien. Lesen, Schreiben, Rechnen all das sind Medien womit wir Informationen vermitteln und verarbeiten.
Wer also denkt, dass Medienkompetenz an Schulen gelehrt werden soll, sollte bedenken, dass die Schule eigentlich nichts anders tut als das. Was wir jetzt brauchen ist die Wahrnehmung und da Bewusstsein über die Bedürfnisse, die Kinder und Jugendliche haben. Wir sind erstmal als Erwachsene dafür verantwortlich ihnen eine sichere und geschützte Lernumgebung zu schaffen.
Dabei geht es nicht darum sie sich selbst zu überlassen. Ganz im Gegenteil. Denn das ist, was bereits passiert ist. All die Jahre haben sie sich ihre eigenen digitalen Räume geschaffen. Mit und ohne Begleitung. Während einige bereits in der Lage sind grenzenlos und ohne Klassenstufenvorgaben, sich weiterzubilden, bleiben andere auf der Strecke.
In meinem weitklick-Kurs „Umgang mit ‚Fake News‘, Mythen und anderen Täuschungen im Netz„ bin ich tiefer auf das Thema Medienkompetenz eingegangen.
Wir brauchen jetzt mehr den je sprachliche Kompetenzen, damit komplexe Sachverhalte besser und schneller erschlossen werden können. Debatten- und Streitkulturen. Räume in der über Ängste, Wut und Aggressionen gesprochen werden kann ohne mit Verbannung und Bestrafung rechnen zu müssen. Kurz: Soziale Begegnungen aktiv nutzen und fördern statt sie nur dann wahrzunehmen, wenn Probleme vorliegen.